Industrielle Sicherheitsprobleme durch Globalisierung
(Kurzfassung des Vortrags gehalten auf der Steinbeistagung 2006)
Prof. Dr. Sylvius Hartwig Gruppe HTKS
Globalisierung bringt ohne Zweifel sowohl für Unternehmen als auch für Verbraucher Vorteile mit sich. Allerdings, wie das in allen Bereichen unserer technologischen Gesellschaft der Fall ist, sind diese Vorteile nicht ohne einen zu bezahlenden Preis zu haben:
Hochgeschwindigkeitsautobahnen sind nur um den Preis von Umweltbeeinträchtigungen zu haben, Schutzimpfungen gegen die Ausbreitung epidemischer Krankheiten nur zum Preis ungewollter Nebenwirkungen und Todesfällen, oder durchtechnisierte Krankenhäuser nur um den Preis von ca. 40000 Toten durch nosokomiale Infektionen in Deutschland.
Diese so genannten Nebenwirkungen oder adversen Effekte lassen sich wohl mindern aber nicht völlig ausschließen. Die zu treffende Entscheidung ist, ob die Risiken der Nebenwirkungen die Vorteile der infrage stehenden Technologie aufwiegen. Wichtig ist hierbei, dass diese Risikoabwägungen überhaupt getroffen wird und nicht die Hoffnung, es wird schon gut gehen, die einzige nichtrationale Entscheidungsgrundlage ist.
In Bezug auf die Globalisierung wissen wir, dass für die allgemeinen Lebensumstände sich ein erhebliches Bündel von Risikoproblemen entwickelt hat, ohne das die Öffentlichkeit willens ist diese Risiken als solche durch die Globalisierung hervorgerufen, wahr zu nehmen. Ohne die weltumspannenden durch die Globalisierung erzeugten Verkehrsströme wäre Aids eine lokale Affäre zwischen Meerkatzen im westlichen Zentralafrika und nicht die seuchenhafte Bedrohung Nummer eins. Berühmt ist, zu Beginn der Aidsgeschichte und deren Ausbreitung, ein belgischer Kaufmann, der vom Kongo kommend bei seinen europäischen Geschäftstouren Aidsherde von Spanien bis Skandinavien hinterließ, ein drastisches Zeichen der Mobilitätsursächlichkeit. SARS, MKS thailändischer Provinienz, BSE, Vogelgrippe u.v.m. wären lokale Malheure und nicht viele Milliarden schwere Problem gäbe es keine Verknüpfung zum globalem Verkehrsnetz.
Ich will aber nicht über die allgemeine Sicherheitsproblematik der Globalisierung sprechen, sondern über das, was Sie und mich am stärksten beschäftigt, nämlich die industrielle Sicherheitsproblematik, die damit verbunden ist. Es ist also das, was den Unternehmen hohe Kosten erzeugen kann, ohne dass das ohne weiteres auf den ersten Blick offensichtlich werden muß. Viele Kosten sind implizit aber nicht weniger gravierend.
Was sind die wesentlichen Kennzeichen der Globalisierung?
- Es gibt schnelle, billige, bequeme Verkehrsanbindungen (vergleichen mit früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten) derart, dass Austausch und Verkauf von Produkten und Komponenten nahezu, wie auf dem heimischen Markt, der heimischen Stadt, möglich ist
- Teile, Komponenten, Produkte aber auch Herstellungsweisen sind nahezu ubiquitär und recht ähnlich. Das geht so weit, dass original schwarzwälder Handarbeit in China oder Thailand hergestellt wird. Original Eskimohandschuhe in Vancouver zu kaufen, kommen dann aus den Philippinen.
- Der Einsatz von Arbeitskräften und besonders von Spezialisten wird zusehends ubiquitär. Innerhalb von Konzernen werden diese Spezialisten beliebig zwischen den Kontinenten ausgetauscht.
- Komponenten und Produkte können innerhalb von Konzernen zur Herstellung beliebig hin- und hergeschoben werden.
Aus dieser Situation folgt für die rein technische Seite der Produktion, dass es von wenig Belang ist, ob die Anlage in Hongkong, Peking, Hamburg oder Toronto steht. Es kommt im Bezug auf die Sicherheit weitgehend nur auf die Sorgfalt und Übersicht der lokalen Betriebsleitung an. Das ist die Situation, wie sie schon vor der Globalisierung bestand. Sicherheitstechnisch ist der rein technische Teil der Globalisierung unproblematisch bzw. er wirft keine neuartigen Probleme auf die es in mehr oder weniger gleichen Form nicht schon vorher gab.
Allerdings hat sich die allgemein die Sicherheitsproblematik in den letzten 30 bis 40 Jahren drastisch geändert. Technische Sicherheitsprobleme spielen generell eine immer geringere Rolle, wie im Bild 1 zu sehen ist, während der Anteil der durch menschliches Verhalten verursachten Probleme stetig wächst und heute bei 80 bis90% der Ursächlichkeit liegt. Dabei ist es durchaus nicht so, dass die Technik immer besser und immer sicherer geworden ist und dadurch die Wichtigkeit des menschlichen Verhaltens relativ größer wird. Wir haben es mit einer neuen Kategorie von Sicherheitsproblemen zu tun, die so im klassischen Bild nicht aufgetreten ist.
Über die Hintergründe wird noch gleich zu sprechen sein. Bevor ich aber darauf eingehe eine kurze Bemerkung wie die Industrie oft auf diesen Sachverhalt reagiert. Bild 2 zeigt für einen großen Konzern die Zahl der Sicherheitsprojekte einmal in Bezug auf technische Sachverhalte und zum anderen auf Sachverhalte, die sich auf den menschlichen Faktor beziehen. Zusätzlich ist für diesen Konzern der Anteil des menschlichen Faktors (m.F.) an den Unfällen angegeben; Handlungsbedarf und Wirklichkeit stehen im krassen Gegensatz wie die Daten zeigen.
Um auf die Natur des m.F. zurückzukommen, so handelt es sich hier nicht um vordergründige Versagenshandlungen, also beispielsweise um Fehlbedienungen in der Anlage, sondern um Handlungen die der Komplexität der Situation nicht gerecht werden, um kurzsichtige Normierungslösungen, um Interfaceprobleme, um Kommunikationsprobleme u.s.w.
Unser gesamtes Leben wird von Automatisierungs- und Normierungsvorgängen beherrscht. Das Hauptproblem ist dabei, die fehlenden und nicht vorhergesehenen Normierungsprobleme, sowie bei der Automatisierung die vorher nicht gesehenen oder erkannten Versagenszuständen, die dann vom System nicht mehr aufgefangen werden können. Es liegt in der Natur der Sache das diese Zustände selten sind. Da die Systeme dann entsprechend in ihrem Automatismus versagen müssten sie, um Katastrophen zu vermeiden, von höchst qualifizierten Operateuren aufgefangen werden, die es bei der jetzigen Struktur in unserer Mitarbeiterlandschaft in der überwiegenden Zahl der Fälle kaum noch gibt. Soweit zur geänderten Struktur eines Teils der heutigen Risiken.
Durch die Globalisierung ist ein massiver Verhaltensdruck entstanden, der unsere Technologie und Technologiestruktur bestimmt. Um mit den Kosten mithalten zu können, muss die Automatisierung massiv vorangetrieben werden, wobei es durch aus so ist, dass die Versagensfehlerrate oft recht gering geworden ist. Das führt allein schon aus ökonomischen Gründen dazu, dass weniger Vorsorge für das Beheben und Auffangen von Versagenszuständen betrieben wird, da auf diese Weise scheinbar nutzlos Manpower und Kapital vorgehalten wird. (Ein Argument das bei Kontrollern mit üblicherweise einem vier Jahresvertrag beliebt ist.)
Problematisch sind jetzt die Fehler die nicht gewusst werden, die durch eine Kombination entstehen, die vorher nicht bekannt waren, die nach der Entwicklung der Technologie neuartige Ursprünge und Sachverhalte haben. Diese Versagenszustände lassen sich nicht durch Automaten beheben, sondern nur durch breit angelegte hochtrainierte Spezialisten, die es aber in den meisten Fällen bei den Firmen, aber oft auch extern nicht mehr gibt. Die Folge sind Störfälle und Katastrophen mit oft sehr großen Konsequenzen, die durchaus auch Exstenz bedrohend für den Konzern sein können.
Wird über das Risikospektrum im Sinne eines Farmerdiagrammes gesprochen, so verschiebt sich in diesem Bild der Schwerpunkt zu seltenen und massiven Ereignissen. Wenn wir es jetzt mit Techniken zu tun haben, die weltweite Monopole oder Nahezumonpole haben, so sind gesamtwirtschaftlich und global schwere Folgen möglich. ( Bild eines Farmerdiagramms zeigen)
Wir haben also die Situation das die Globalisierung kurzatmige und kurzfristig finanziell erfolgreiche Strategien erzwingt, die langfristig zu fatalen ja sogar zivilisatorischen negativen Konsequenzen führen können.
Ein weiteres Problem ist auf ähnlicher Ebene zu sehen. Es hat sich weitgehend die Vorstellung entwickelt dass es für die Globalisierung von größeren Vorteil ist, dass englisch als beherrschend Weltsprache überall zur Geltung kommt. Nahezu alle 30 Firmen die im DAX aufgeführt sind haben englischsprachiges Firmenmanagement eingeführt. Diese Sprache wird als offizielle Kommunikationssprache eingesetzt. Des Vorgehen ist nicht ohne Risiko, und kann langfristig zu schweren unerwünschten Konsequenzen führen:
Bei der Entstehung von Störfällen spielt die Kommunikation in sehr vielen Fällen eine entscheidende Rolle und das auch und vielleicht gerade besonders auf der Ebene der einfachen Mitarbeiter, die bei der Auslagerung von anlagen in Drittländern, wegen der billigern Arbeitskräfte eine große Rolle spielen.
Diese Arbeiter sprechen ihre Heimatsprache und fast immer nur diese, da sie meist der untersten sozialen Schicht angehören. Auch bei uns sprechen die einfachen Arbeiter kein englisch, sondern nur deutsch, türkisch, polnisch oder ähnliches, also ihre Muttersprache. Gerade durch den Einsatz von billig Kräften hat die Landessprache überall eine wachsende sehr große Bedeutung gewonnen. Es ergibt sich jetzt eine Schnittstelle zwischen englisch sprechendem Management (oft sprechen die Management auch nur ein primitives Englisch, sind sich ihrer beschränkten Sprachfähigkeit aber kaum bewusst)) und einheimischen Mitarbeitern. Diese Schnittstelle wird besonders wichtig in Notfall- und Störfallsituationen bei denen unter Stress das muttersprachliche Verhalten besonders und wachsend dominierend wird. Die Kommunikation zwischen den Ebenen ist dann oft massiv gestört was zu schwer wiegenden Unfällen und Konsequenzen führt. Da auch hier öfter durch Automation triviale Fälle seltener werden, werden schwer wiegende, große Störfälle erneut wichtiger.
Es kommt noch ein weiteres hinzu. Gerade deutsche Intellektuelle aber auch Manager die viel ins Ausland reisen, sind sich oft ihrer Dürftigkeit ihrer Englischensprachkenntnisse nicht bewusst. Sie sehen nicht, dass sie ein Pidginenglisch sprechen, dass wohl ausreicht dem Taxifahrer die Richtung an zu geben und dem Kellner die Speiseabfolge, aber nicht hinreichend zur einer differenzierten technisch, aber insbesondere sozialen Situationsbeschreibung. Dieses Sprachproblem ist für die Risikosituation gravierender als unsere Öffentlichkeit aber auch die Industrieetagen wahr haben wollen. Sprachprobleme haben zu grässlichen Unfällen geführt. Die Katastrophe im März 2001 bei den belgischen Staatsbahnen ist ein anschauliches Beispiel.
Auch hier wird wieder ein Problem durch kurzfristigen ökonomischen Vorteil – das Umgehen von vielfältigen Sprachkenntnissen – gelöst, mit langfristig wachsenden Risiken.
Es gibt einen weiteren eindeutigen Trend in der industriellen Entwicklung, der in dieser Weise erst durch die Globalisierung möglich bzw. erst erzwungen worden ist. Hier ist die erzwungene und zu weit getriebene Substitution mechanischer Komponenten und Systeme durch Prozessoren und elektronische Schaltkreise gemeint. Motor dieser Entwicklung ist eine falsch verstandene Konkurrenzsituation. Es sei daran erinnert, dass sehr viele mechanische Komponenten bei der Entwicklung sehr viel mit menschlichem oder generell mit biologischen Bewegungsabläufen zu tun hatten. Sie waren dadurch in erheblichen Maße menschengerecht und menschenangepasst; sie waren dadurch zum Teil. ergonomisch gut. Das betrifft sowohl die Proportionen, die Abläufe aber besonders auch das Zeitverhalten. Dadurch ergab sich für eine Vielzahl von Bereichen ein gutes Maß an inhärenten Sicherheiten. Die Wurzel war eine abendländische Tradition im Maschinenbau, die durchaus ein Pendant in der abendländischen Denkweise und Tradition hatte. Diese abendländische technisch-kulturelle Tradition und Entwicklung hat, auf Grund der traditionellen Gegebenheiten in den fernöstlichen Ländern und wegen des dortigen sozialtechnischen Weltbildes, kein entsprechendes Gegenstück.
Von der Tradition her ist das fernöstliche Technikhandeln anders als das abendländische. Das Gleiche gilt für die Denkweise. Das im zunehmenden Maße zu sehende exzessive Einsetzen von Prozessoren, dass seine treibende Kraft in fernöstlichen Ländern hat, führt nicht nur zu einer Unanschaulichkeit der Ablaufvorgänge, was im Notfall schädlich ist, sondern zu Sicherheitsproblemen der verschiedensten Art. Die wechselseitige Beeinflussung von Prozessoren ist dabei nur ein kleineres Problem. Schwieriger ist, dass sie oft gegenüber mechanischen Systemen nicht sichtbar versagen, was für Operateure und Bediener gefährlich ist. Zusätzlich hängen Versagenszustände bei diesen oft von der physikalischen Vorgeschichte der Beanspruchung der Prozessoren ab, was ebenfalls ein Sicherheitsproblem ist.
Mit exzessiv ist nicht die notwendige Automatisierung gemeint, sondern der überzogene Einsatz dieser Prozessoren, die die Bediener überfordern, die zu unübersichtlichen Versagenszuständen führen können, die die Situation unnötig verkomplizieren, die unübersichtliche nicht kausal erkennbare Fehler verursachen, und die die Prozessoren um Ihrer selbst willen einführen, aber nicht aus Gründen der Problemangepasstheit. Eine ganze Reihe von Entwicklungen in der Autoindustrie sind hierfür charakteristisch, wie der eine oder andere von Ihnen aus leidvoller Erfahrung weiß.
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